Als wir vor fast 7 Jahren ein Haus in Um Suqeim bezogen hatten und ich an einem der ersten Abende nach Hause kam, war ich sehr erstaunt und zuerst auch erschrocken, denn unter dem Baum vor unserem Eingang saßen Menschen, hatten Kerzen angezündet und sangen.
Ich ging vor die Gartentüre, um nachzusehen, was dort passiert. Alle waren total freundlich und erklärten mir, dass dieser Baum ein Heiliger Baum sei und viele Sri Lankaner aus der gesamten Gegend immer wieder hierher kämen um gemeinsam zu beten, ihre Wünsche vorzutragen und vor allem bei Vollmond gemeinsam zu sitzen und zu singen.
Alle Naturvölker auf der Welt achten Bäume als Grundlage für Nahrung, Schutz und ihre Verbindung zu allem Göttlichen. In sämtlichen Religionen wurden Bäume verehrt als heilige Wesen, in Form von Wäldern und Hainen als Kultstätten göttlicher Macht, und als Mittler zwischen Himmel und Erde.
Die Pappel-Feige (Ficus religiosa) wird auch Buddhabaum, Bodhibaum oder Bobaum genannt und gehört zur Familie der Maulbeergewächse (Moraceae). Sie ist ein schnell wachsender Baum mit Luftwurzeln, der bis zu 30 m hoch werden kann. Die Heimat der Pappelfeige ist Indien und Sri Lanka.
Nach der buddhistischen Überlieferung erlebte Siddhartha Gautama 528 v.Chr.unter einer Pappelfeige im indischen Bodhgaya sitzend das „Erwachen“ oft auch als „Erleuchtung“ übersetzt und wurde damit zum Buddha. Seitdem gilt die Pappelfeige in der buddhistischen Kunst als Symbol für den Buddha. Sie wird deshalb auch oft in Reliefs und Bildern buddhistischer Tempelanlagen dargestellt.
Ein Zweig des ursprünglichen Baums gelangte im 3. Jahrhundert vor Christus nach Sri Lanka und man pflanzte ihn in der damaligen Königshauptstadt Anuradhapura ein. Der daraus gewachsene Baum – der Maha Bodhi – ist heute noch ein wichtiger Pilgerort für Buddhisten und gilt der Legende nach als ältester und heiligster Baum Asiens. Er steht auf einem Podest, das von einem goldenen Gitter umrahmt wird. Auf Sri Lanka heißt es: Solange dieser Baum grüne Blätter trägt, so lange blüht auch der Buddhismus auf der Insel.
In der Tempelarchitektur in Sri Lanka war es seitdem üblich, offene Gebäude um einen lebenden Bodhi-Baum herum zu errichten, der aber immer ein Ableger des ursprünglichen Baums sein musste. Auch in anderen Tempelanlagen Südostasiens ist meist mindestens ein Bodhi-Baum zu finden, der während des Vollmondes im April oder Mai im Mittelpunkt von Riten steht.
Sicher ist auch unser heiliger Baum ein Nachkomme dieses ältesten Baums Asiens, denn jeden Tag kommen Pilger aus der gesamten Umgebung mit kleinen Opfergaben, Wasser, Kerzen und Gebetswimpeln, um hier zu beten und um den Baum zu verehren. Viele erzählten mir immer wieder, dass ein Wunsch in Erfüllung gegangen ist und der Baum jemandem geholfen hat. Und so konnten auch wir westliche Expats uns der Magie dieses Baumes nicht entziehen. Wir pflegten ihn, hielten den Gebetsplatz unter ihm sauber und manchmal ertappte ich mich dabei, dass ich auch mit ihm sprach, vor allem wenn bei Vollmond der Duft der Räucherstäbchen unser Haus umgab. Die Sri Lankaner dankten uns die Fürsorge für „ihren“ Baum damit, dass sie uns und unser Haus mit in ihre Gebete einschlossen.
Schon seit geraumer Zeit begannen wir Ableger des Heiligen Baums zu züchten und nun stehen einige dieser Ableger in unserem neuen Zuhause auf der Terrasse und wir haben unseren eigenen Heiligen Baum auch weiterhin ganz in unserer Nähe.