Hier wieder ein kritischer Gastbeitrag des deutschen Journalisten Wolfgang Stephan für Sie, der sich mit dem Ausgang der Wahlen in Brasilien beschäftigt.
Zunächst ist es eine gute Nachricht aus Brasilien: Mit der Wahl-Niederlage von Jair Bolsonaro ist ein Schurke weniger an der Spitze eines G20-Staates. Der Kandidat der linken Arbeiterpartei, Luiz Inácio Lula da Silva, hat den bisherigen Amtsinhaber in einer Stichwahl mit 50,9 Prozent knapp geschlagen. Der ehemalige Gewerkschaftsführer hatte Brasilien bereits von 2003 und 2010 regiert. Damit ist der 77jährige der erste Präsident Brasiliens seit dem Ende der Diktatur 1985, der zum dritten Mal das Amt ausüben wird.
Die erbittert geführte Auseinandersetzung in den vergangenen drei Wochen erinnerte fatal an den Wahlkampf vor zwei Jahren in den USA. Auch in Brasilien ist das Land in zwei Lager gespalten und auch in Brasilien gab es einen rechtsextremen Amtsinhaber, der vorsorglich schon angekündigt hatte, das Wahlergebnis nicht zu akzeptieren.
Auf den ersten Blick ist es aus unserer Sicht völlig unverständlich, dass Bolsonaro, der wiederholt die brasilianische Militärdiktatur und die Folter während dieser Zeit verherrlicht hat, nur von einer knappen Mehrheit der 124 Millionen Brasilianer abgewählt wurde. Ein Populist, in dessen Land 33 der 215 Millionen Menschen akut an Hunger leiden. In vielen Städten des Landes brach wegen seiner Corona-Verweigerungspolitik das Gesundheitswesen zeitweise zusammen – die Bilder von Massengräbern in der Urwaldmetropole Manaus gingen um die Welt. Dazu hat er mit dem Raubbau im Amazonas der Welt und dem größten Land Lateinamerikas schwere Schäden zugefügt.
Dass er sich nur knapp geschlagen geben muss, liegt an der Schwäche seines Gegenkandidaten, der große Mühe hat das Image der Korruption abzulegen. Denn Lula da Silva verbrachte 580 Tage im Gefängnis, nachdem er 2018 wegen Korruption verurteilt worden war. Drei Jahre später hob der Oberste Gerichtshof Brasiliens die Verurteilungen wegen Verfahrensfehlern, mangelnder Beweise und Befangenheit auf. Freigesprochen wurde er nicht. Für viele Beobachter war es deshalb in Brasilien eine Wahl zwischen Pest und Cholera.
Und jetzt?
Nach der Wahl ist Brasilien zerstrittener denn je. Ähnlich wie Joe Biden muss Lula versuchen, die Menschen zu einen und das politische Klima zu entgiften. Dem einstigen großen Führer der Metallarbeiter-Gewerkschaft wird nachgesagt, dass er gut reden kann und sehr eloquent und höflich sei, also eher das Gegenbild von Bolsonaro. Lula da Silva wird aber einen konservativen Kongress und etwa die Hälfte der Gouverneure gegen sich haben.
Freilich: Seine Chance liegt in den wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen. Das Land ist relativ frei von geopolitischen Risiken, die Prognosen für die Wirtschaft gelten als gut.
Auf der Weltbühne wird Brasiliens neuer Präsident breite Unterstützung finden, denn auch für Europa steht einiges auf dem Spiel: Wegen der Versorgungskrise in Folge des russischen Überfalls auf die Ukraine sind gute Beziehungen in das rohstoffreiche Südamerika dringend notwendig. Nicht zuletzt wegen Bolsonaro haben die Europäer das weltweit größte Freihandelsabkommen auf Eis gelegt, um ihn für seine Amazonas-Abholzungspolitik zu bestrafen. Lula da Silva hat versprochen, den Umwelt- und Klimaschutz künftig zu stärken. Insofern kann wegen der Bedeutung des Regenwaldes für das Klima diese brasilianische Präsidentschaftswahl auch einen Einfluss auf die ganze Welt haben. Wenn der Präsident seine Versprechen hält.
Luiz Inácio Lula da Silva ist ein kleiner Lichtblick mehr in dieser mitunter so düster erscheinenden Weltlage.