Heute beginnt die Kolumne des deutschen Journalisten Wolfgang Stephan über die Fußball-WM in Qatar, die Sie während der gesamten Zeit  regelmäßig in Expat Aktuell lesen können. Wolfgang Stephan ist ab 18. November vor Ort in Doha und erlebt Spiele und Stimmung in der Stadt hautnah.

Der Countdown läuft. Wenn diese Kolumne erscheint, bin ich hoffentlich gut in Doha gelandet. Gestern Nacht in Istanbul sah es danach aus. 

Am Sonntag beginnt diese WM der Kontroversen, in deren Vorfeld es kaum noch um Fußball ging. Viele Fußballfans machen sich sogar Gedanken, ob sie nicht ein schlechtes Gewissen haben müssen, wenn sie die Spiele im TV verfolgen. Was für ein Irrsinn!
Wer ehrlich ist, wird sich eingestehen müssen, dass diese WM nur die logische Konsequenz eines völlig überdrehten Fußball-Business ist. Eines Geschäfts, in dem horrende Spielergehälter gezahlt werden, in dem dubiose Berater sich die Taschen füllen, in dem Fußballclubs von Staaten und Konzernen gekauft werden und in dem die TV-Sender die Anstoßzeiten bestimmen. Die WM-Vergabe an diesen Golfstaat ohne Fußball-Kultur war ein Schurkenstück.
Aber jetzt die WM boykottieren? Dann bitte konsequent. Nicht mehr den FC Bayern unterstützen, denn die Münchner werden mit 25 Millionen Euro pro Jahr aus Katar gesponsert.  Und: – Wer VW fährt, unterstützt das Emirat, denn Katar hält rund zehn Prozent der VW-Aktien.
Und bitte, auch das sollten wir nicht vergessen: Katar wurde durch den Druck von außen zu Reformen gedrängt, zu denen das Emirat wohl nie bereit gewesen wäre. Die Lage der Fremdarbeiter hat sich verändert, es gibt einen Mindestlohn und auch die Frauenrechte wurden im Verhältnis zu den arabischen Nachbarn gestärkt. Das reicht nicht aus, nach unserem westlichen Standard. Aber ist dies legitim, mit unserem moralischen Anspruch des Westens eine fremde Kultur im Mittleren Osten zu beurteilen? Ich habe da meine Zweifel. Deswegen werde ich versuchen, meinen Blickwinkel zu schärfen.
Auch wenn das zum derzeitigen Zeitpunkt unpopulär klingen mag: Ich freue mich auf diese WM. Wegen der politischen Komponente sowieso, aber auch weil die Chance besteht, dass Millionen Fans aus aller Welt ein friedliches Fußballfest feiern. Ohne Gewalt. In einem Land, aus dem sich ganz viel über Land und Leute berichten lässt.
Ich verspreche Ihnen in den nächsten vier Wochen in meiner täglichen Kolumne das zu schreiben, was ich sehe, was ich erfahre und nicht das, was sein sollte.

Die Realität ist vielschichtiger als die Schlagzeilen. Mit dieser Maxime trete ich für Sie in Katar an.