Hier ein Kommentar des deutschen Journalisten Wolfgang Stephan zum Verbot der One-Love-Binde bei der Fußball-WM in Qatar.

Die europäischen Verbände beugen sich dem Druck des Weltverbandes – DFB-Präsident spricht von „Machtdemonstration“.

Es ist nur ein Stück Stoff, doch gestern wurde die „One-Love-Binde“ endgültig zum Politikum. Obwohl der DFB sich zuvor klar positioniert hatte und sich bereit zeigte, auch angedrohte FIFA-Strafen in Kauf zu nehmen, beugte sich der Verband gestern der FIFA. Manuel Neuer wird die Binde morgen beim Spiel gegen Japan nicht tragen.

Am späten Nachmittag machten DFB-Präsident Bernd Neuendorf und Sport-Direktor Oliver Bierhoff in einem improvisierten Pressegespräch deutlich, dass sie die Entscheidung der FIFA als eine Machtdemonstration sehen, weil die FIFA deutliche Drohungen ausgesprochen habe. „Das Verbot der Binde ist ein weiterer Tiefschlag in unserem Verhältnis“, sagte der Präsident.
Deutschland und sechs weitere europäische Teams wollten mit einer Kapitänsbinde „One-Love“ ein Zeichen für Diversität und Toleranz setzen und hätten dafür sogar Geldstrafen von Seiten der FIFA in Kauf genommen. Doch gestern beugten sich die Verbände dem Diktat der FIFA. Der Weltverband schreibt das Tragen einer eigenen FIFA-Binde vor, auf der Slogans wie „Fußball vereint die Welt“, „Rettet den Planeten“, „Teile das Essen“, aber auch „Keine Diskriminierung“ stehen soll.
„Die FIFA hat sehr deutlich gemacht, dass sie sportliche Sanktionen verhängen wird, wenn unsere Kapitäne die eigenen Armbinden auf dem Spielfeld tragen“ teilten die Verbände von Deutschland, England, Wales, Belgien, Dänemark, der Niederlande und der Schweiz am Mittag mit. „Als nationale Verbände können wir unsere Spieler nicht in eine Situation bringen, in der sie mit sportlichen Sanktionen, einschließlich Platzverweisen rechnen müssen. Deshalb haben wir die Spielführer gebeten, die Armbinden bei Spielen der WM nicht zu tragen.“  

Zuvor hatte die FIFA unmissverständlich erklärt, dass das Tragen der „One Love“-Binde ein Regelbruch sei und auch sportliche Sanktionen möglich seien. Womöglich hätte den Kapitänen gleich zu Beginn des Spiels eine Gelbe Karte gedroht. „Wir waren bereit, Geldstrafen zu zahlen, die normalerweise bei Verstößen gegen die Ausrüstungsvorschriften verhängt würden, und haben uns nachdrücklich für das Tragen der Armbinde eingesetzt. Wir können unsere Spieler jedoch nicht in die Situation bringen, dass sie verwarnt oder sogar gezwungen werden könnten, das Spielfeld zu verlassen“, so der Text in dem gemeinsamen Statement der sieben Verbände.
Wie gespannt das Verhältnis der Europäer zur FIFA ist, wird in der Bewertung des Vorgangs deutlich: „Wir sind sehr frustriert über die Entscheidung der FIFA, die unserer Meinung nach beispiellos ist. Wir haben die FIFA im September schriftlich über unseren Wunsch informiert, die ‚One Love‘-Armbinde zu tragen, um die Inklusion im Fußball aktiv zu unterstützen, und haben keine Antwort erhalten. Unsere Spieler und Trainer sind enttäuscht – sie sind starke Befürworter der Inklusion, und werden ihre Unterstützung auf andere Weise zeigen.“

Wie die andere Symbolik aussehen könnte, ließ Oliver Bierhoff offen. Er, wie auch Neuendorf, beklagten vor Journalisten im Trainingscamp, dass die FIFA monatelang nicht auf den Antrag der Europäer zum Tragen der Binde reagiert habe, auch beim offiziellen Länderspiel am vergangenen Mittwoch im Oman habe die FIFA gegen die Binde am Arm von Manuel Neuer nicht reagiert.
Es ist ein beispielloser Vorgang, dass die FIFA wenige Stunden vor dem ersten Spiel England – Iran das Verbot ausspreche. Weil die FIFA bewusst die sportlichen Sanktionen offengelassen habe, sei die einmütige Entscheidung auf den Verzicht der Binde gefallen, um diese Angelegenheit nicht auf dem Rücken der Spieler auszutragen, sagte Neuendorf.  Bierhoff: „Das Verhalten der Fifa ist frustrierend, es fühlt sich stark nach Zensur an.“ Der DFB könne die Spieler nicht in eine Situation bringen, dass sie verwarnt oder gar gezwungen werden, das Spielfeld zu verlassen. Bierhoff: „Man kann uns die Binde nehmen, aber nicht unsere Werte.“  
Die Engländer haben gestern vor dem Anpfiff im Spiel gegen den Iran einen Kniefall gemacht. Auf der FIFA-Binde von Kapitän Harry Kane stand: „No discrimination“.