Heute finden Sie hier wieder einen Gastbeitrag vom deutschen Journalisten Wolfgang Stephan, der kritisch über die Flüchtlingspolitik in der EU berichtet.

Bis Anfang September sind nach Angaben der Vereinten Nationen etwa 4,8 Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine in die EU gekommen – eine ungeheuer hohe Zahl, die es in dieser Form noch nie gab. Auch wenn viele Ukrainer mittlerweile in ihr Land zurückgekehrt sind, rechnet die EU mit einer weiter ansteigenden Zahl von Flüchtlingen, weil die russische Armee vor allem Kraftwerke und wichtige Infrastrukturen zur Versorgung der Städte bombardiert, was die humanitären Probleme weiter verschärfen wird. Mittlerweile kommen die Städte und Gemeinden in Deutschland an ihre Grenzen, die Flüchtlingsunterkünfte sind voll.

Deshalb müsste die Europäische Union dringend reagieren und dafür sorgen, dass die Flüchtlinge auch in Länder wie Spanien, Frankreich und Italien gehen. Aber das ist blanke Theorie. Das Problem ist politisch brisant, denn es gibt keine Aufnahmequoten, die Flüchtlinge können frei entscheiden, wohin sie fliehen – bisher vorwiegend nach Polen, Tschechien und Deutschland. Eine Verteilung auf alle EU-Länder wäre demnach logisch.
Aber Logik ist in der EU nicht das Mittel der Politik. Bisher gibt es nur eine freiwillige Vereinbarung – auch, weil Staaten wie Deutschland und Frankreich bisher froh waren, dass die Mittelmeerflüchtlinge vor allem in Ländern wie Griechenland, Zypern, Italien und Spanien gestrandet waren – und dort ihren Asylantrag stellen mussten. Von Polen ganz abgesehen. Warschau hat im Verbund mit Ungarn bisher jegliche verpflichtende Verteilung von Geflüchteten abgelehnt. Sobald sie jetzt darum bitten, dass auch andere Länder Ukrainer aufnehmen müssen, würden sie eine Tür öffnen, die sie bisher geschlossen halten wollten. Das Ergebnis ist deshalb deprimierend. Weil eine humanitäre EU-Flüchtlingspolitik an den Eigeninteressen der Mitgliedsstaaten scheitert.