Heute berichtet der deutsche Journalist Wolfgang Stephan über eine alte Tradotion in Qatar – das Perlentauchen. Dazu traf er Saad Ismail Khalifa al-Jassim, der mit 87 Jahren der älteste Perlentaucher Katars ist und der fast sein ganzes Leben im Wasser verbrachte..
Immer wieder. Er kann und will nicht aufhören, sagt er. Seit seinem 18. Lebensjahr geht er ins Meer. Weit nach unten, wo die Austernbänke liegen. Saad Ismail Khalifa al-Jassim gilt als der älteste Perlentaucher Katars, ein Mann, der immer noch von Perlen lebt, die er in seinem kleinen Laden im Souq Waqif verkauft. Und seine Geschichte erzählt. Die Geschichte eines 87jährigen Perlentauchers.
Ob er wirklich immer noch selbst tauche? „Anytime“, sagt er. Jederzeit. Aber eben nur noch, weil er es nicht lassen könne. Einmal Taucher, immer Taucher. Saad Ismail Khalifa al-Jassim weiß um seine Bedeutung. Voller Stolz präsentiert er eine Mappe mit Klarsichtfolien, in der er unzählige Fotos und Zeitungsartikel aufbewahrt. Nicht geordnet, aber so, dass er beim Durchblättern schon weiß, was er besonders zeigen muss. „Hier“, sagt er, „dein Präsident“ und zeigt ein vergilbtes Foto mit Richard von Weizäcker, daneben Fotos vom Besuch von Königin Beatrix, diversen asiatischen Politikern und Showgrößen.
Er erzählt fast ungefragt von den goldenen Zeiten, als er in jungen Jahren nach Perlen tauchte. Von den Zeiten, in denen Katar die Perlentaucher-Hochburg am Golf war und das Land mit seinen wenigen Einwohnern vom Verkauf der Perlen leben konnte. Die Öl- und Gasvorkommen waren schlicht noch nicht entdeckt. Dass Katar schon ein halbes Jahrhundert später zu einem der reichsten Länder der Erde werden sollte, war damals unvorstellbar.
Um seine Geschichte zu erzählen, steht der alte Mann auf, direkt vor seinem großen Foto, das ihn in jungen Jahren zeigt und erklärt in die Video-Kamera: „Mein Name ist Saad Ismail Khalifa al-Jassim, ich bin ein alter Perlentaucher.“ Und dann erzählt er von seinem Job. Nein, gefährlich sei der nicht, aber hart.
Einen dicken Stein, der von einem Hanfseil umwickelt ist, habe er an den Fuß gebunden, um schneller, tiefer zu sinken. Gut 20 Taucher seien tagelang bei einer Tour auf dem Boot gewesen, angefeuert von Musikern, tauchten immer zehn Männer gleichzeitig, die sich mit einer Klammer die Nase verschlossen hatten. Zwei Minuten hatten sie unter Wasser Zeit, um Muscheln zu finden, die sie in ihren am Hals hängenden Köcher sammelten. „Auf dem Boot das Netz leeren, dann ging‘s wieder runter“, erzählt der Taucher. Mitunter seien sie bis zu drei Monaten auf dem Boot gewesen, ohne einen Landgang.
An guten Tagen habe er viele Perlen gefunden, mit deren Verkauf die Familien ernährt wurden. Im Rotationsprinzip ging es rauf und runter, mit Messern wurden die Muscheln vorsichtig geöffnet, um die wertvollen Perlen zu finden. Auch heute noch finde er ab und zu eine Perle, sagt er. Es gebe wieder Austern, aber viel weniger als damals.
Was er findet, wird von ihm selbst im Laden verarbeitet – Ketten, Armbänder, Ringe. Wer genauer schaut, wird viele Armbänder mit asiatischer Herkunft finden.
Als in Japan in der 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts die Perlenzucht entdeckt wurde, war das das Aus für diesen Wirtschaftszweig am Golf. Der Handel brach um 90 Prozent ein, Katar war ein noch ärmeres Land geworden. Aber nicht lange.
1939 wurde mit Hilfe der britischen Besatzer erstmals eine Ölquelle entdeckt und das wertvolle Gut in relativ kurzer Zeit exportiert. Doch noch gingen die Profite in erster Linie ins Vereinigte Königreich. Im Jahr 1971 erklärte Großbritannien die Unabhängigkeit Katars, was als Fundament des heutigen Wohlstandes gilt. Der Öl-Export schwemmte viele Dollars ins Land, die Halbinsel konnte sich entwickeln, aber langsamer als die Nachbarstaaten Saudi Arabien oder die Vereinigten Arabischen Emirate. Das sollte sich ab 1989 ändern, denn da wurde die heutige Wohlstandsquelle entdeckt: Das größte Flüssiggasfeld der Welt, das die Kataris zusammen mit dem Iran erschlossen haben. Dazu nur eine Zahl: Das Bruttosozialprodukt des Emirats wuchs von 300 Millionen-US-Dollar im Jahre 1971 auf 7,4 Milliarden im Jahre 1990 und auf jetzt 180 Milliarden US-Dollar. Katar war plötzlich zum Land mit einem der höchsten Pro-Kopf-Einkommen der Welt geworden, die 300 000 Kataris gelten alle als wohlhabend, sie sind eine Minderheit im eigenen Land. Die meisten der knapp drei Millionen Einwohner sind Migranten, überwiegend schiitische Muslime.
Saad Ismail Khalifa al-Jassim sagt nicht, dass ihm das neue Doha mit seinem architektonisch zur Schau gestellten Reichtum gefällt. Jeder Tag, an dem Du lebst, sei immer der beste Tag, zitiert er gerne eine arabische Weisheit. Er lebt im Souq Waqif, einem arabischen Basar in Doha, der die Magie der Vergangenheit ausstrahlt, ein Ort, der zwar auch neu gebaut wurde – aber nach den Kindheitserinnerungen des Emirs Hamad bin Khalifa al-Thani, der oft zum alten Taucher kommt und Perlen kauft. Aber die aus dem Golf, sagt Saad Ismail Khalifa al-Jassim verschmitzt. Mit dem gleichen Blick hat er von seinen täglichen Tauchgängen im hohen Alter berichtet.