Über 800 Neubestellungen in der vergangenen Woche bei der Luftfahrtmesse in Paris – Airbus boomt weiter und sucht händeringend neue Arbeitskräfte. Zu den in diesem Jahr geplanten 1.800 Neueinstellungen in den zivilen Werken im Norden wird es im nächsten Jahr Neueinstellungen in ähnlicher Größenordnung geben – das kündigte André Walter an, der seit 1. Juli 2022 die Produktion in allen Nordwerken managt.
Der 56Jährige ist CEO der nach heftigen Auseinandersetzungen vor einem Jahr gegründeten neuen Airbus Aerostructure GmbH, einer Tochtergesellschaft, die neben dem Produktionsbereich in Finkenwerder das Werk Stade, sowie die ehemaligen Premium Aerotec-Werke in Nordenham, Bremen und Teile vom Augsburger Werk umfasst. Anlässlich des ersten Jahrestages der Airbus Aerostructures GmbH am 1. Juli sprach der Luftfahrt- und Fußball-Journalist Wolfgang Stephan mit André Walter.
Herr Walter, 801 Festbestellungen und 20 Absichtserklärungen – wenn Sie diese Bilanz von Airbus bei der Luftfahrtmesse in der vergangenen Woche in Paris hören, was kommt Ihnen zuerst in den Sinn? Wunderbar, die Firma boomt oder doch, mein Gott, wie sollen wir das in der Produktion schaffen?
Das ist doch klar, das sind wunderbare Nachrichten aus Paris, jede Bestellung ist ein Bekenntnis zu unserem Produkt. Wer hätte das gedacht, dass es nach der Corona-Phase wieder so bergauf gehen wird. Das war nicht vorhersehbar. Aber natürlich ist das auch wieder eine Herausforderung und Verpflichtung in der Produktion, damit unsere Kunden die bestellten Flieger rechtzeitig bekommen. Deshalb werden wir die monatlichen Produktionsraten weiter steigern, im A320-Programm im Jahr 2026 auf Rate 75. Das ist eine zusätzliche Herausforderung, aber wir sind auf einem guten Weg und optimistisch, dass wir das auch schaffen.
Haben die neuen Kaufabschlüsse direkte Auswirkungen auf die angepeilten Raten im Hochlauf. Sie dürften jetzt bereits bei monatlich 45 Flieger im A320-Programm stehen?
Nein, der Hochlauf war so geplant. Die Raten standen schon lange fest. Wir liegen aktuell sogar schon leicht darüber und sprechen von 45 bis 50 Flugzeugen aus unseren Endlinien in Hamburg, Toulouse, Tianjin und Mobile.
Gibt es eine Zahl zur Endlinie in Hamburg?
Wie immer nicht. Wir sind ein Unternehmen mit einer weltweiten Produktion.
Würden Sie widersprechen, wenn ich schreibe, dass rund die Hälfte der 45 bis 50 Flieger aus der Hamburger Endlinie kommt?
Das können Sie so schreiben. Wobei wir nicht vergessen dürfen, dass uns der Hochlauf in Hamburg nicht nur in der Endlinie betrifft. Wenn die Raten steigen, partizipieren alle norddeutschen Werke maßgeblich davon, denn wir produzieren ja auch beispielsweise die Rumpfschalen in Nordenham, die hintere Rumpfsektion in Hamburg und die Seitenleitwerke für alle Flugzeuge in Stade, egal wo diese endmontiert werden. Insofern sind die neuen Bestellungen auch gute Nachrichten für alle Airbus-Werke, weil damit alle Standorte mit Blick auf die Zukunft abgesichert werden. Übrigens, wir erhöhen nicht nur die Raten im A320-Programm, wir haben auch Ratenerhöhungen bei den A330- und A350-Flugzeugen.
Airbus Aerostructures wurde vor genau einem Jahr gegründet. Was lief in diesem Jahr besonders gut, was besonders schlecht?
Besonders schlecht lief nichts, aber unter dem Strich lief ganz viel ganz gut. Wir hatten mit der Gründung des neuen Unternehmens überhaupt keine Unterbrechung in der Produktion, im IT-Bereich, der Logistik oder im Personalbereich. Wir wären heute mit den bekannten Herausforderungen im Bereich der Zulieferer und Logistik nicht so gut aufgestellt, wenn wir Airbus Aerostructures nicht gegründet hätten. Wir haben heute ein Frühwarnsystem für mögliche Fehlteile, sitzen regelmäßig jede Woche mit den Verantwortlichen der Werke an einem Tisch und schauen von vorne bis hinten genau darauf, ob und wo es Probleme in der Wertschöpfungskette gibt und wo wir gegensteuern müssen.
Die Betriebsräte hatten in den Auseinandersetzungen um die Neustrukturierung die Befürchtung, dass es künftig zwei Klassen von Mitarbeitern geben wird: Die bei der Tochtergesellschaft Airbus Aerostructures und die bei der Airbus Operations. Ist diese Befürchtung eingetreten?
Da ist nichts zu spüren, auch nicht bei uns im Werk Hamburg, wo wir faktisch beide Gesellschaften vor Ort haben. Wobei wir bei diesem Thema nicht vergessen dürfen, dass wir die Kolleginnen und Kollegen der Premium Aerotec aus Nordenham und in Teilen aus Bremen und Augsburg durch die Gründung der Airbus Aerostructures wieder stärker in das Gesamtunternehmen eingebunden haben. Die fühlen sich jetzt wieder als Airbus-Mitarbeiter.
Sie hatten Ende des vergangenen Jahres den Fachkräftemangel als das große Problem bei Airbus bezeichnet und angekündigt, dass bis zu 1.800 neue Arbeitskräfte im zivilen Flugzeugbau gesucht werden. Wie viele haben Sie bereits eingestellt und suchen Sie weiter?
Ja, wir suchen weiter. Das Thema ist ein schönes Thema. Wir haben in diesem Jahr etwa 60 Prozent der Einstellungen geschafft. Das heißt aber auch, dass wir in diesem und auch im nächsten Jahr mit massiven Einstellungen planen. Aber dafür müssen wir viel tun, wir sind auf 15 Jobmessen gewesen, wir sprechen bewusst junge Leute an, sind an Universitäten und haben ein tolles Empfehlungs-Programm für Mitarbeiter gestartet. „Refer a friend“ – wer uns einen Freund oder Bekannten empfiehlt, bekommt bis zu 1.500 Euro, wenn der Anstellungsvertrag zustande kommt.
Also Headhunter im eigenen Laden?
Genau, das funktioniert sehr gut.
Lassen Sie uns über Zahlen reden. Wie viele sind eingestellt, wie viele werden noch gebraucht?
In diesem Jahr werden wir für alle Airbus-Werke in Deutschland 3.500 neue Beschäftigte einstellen, davon etwa 1.800 für den zivilen Flugzeugbau im Norden: Etwa 1.300 in Finkenwerder, 100 in Stade, 100 in Bremen und etwa 250 in Nordenham. Im Zuge des Hochlaufs wird es weitergehen, ich gehe davon aus, dass wir im nächsten Jahr im Norden in einer ähnlichen Größenordnung Beschäftigte einstellen. Wir werden natürlich auch die Zahl unserer Auszubildenden in allen Bereichen weiter erhöhen müssen. Zahlen gibt es demnächst.
Betreffen die Neueinstellungen nur den Hochlauf in der Produktion oder geht der Blick auch Richtung Zukunft des Fliegens?
Betroffen sind alle Bereiche. Wir können die Produktion nicht hochfahren, ohne Planer zu haben. Auch für den Entwicklungsbereich suchen wir weiterhin Fachkräfte. Sie wissen, dass wir bis 2035 ein vollständig wasserstoffbetriebenes Flugzeug in der Luft haben wollen. Schon jetzt sind alle unsere Standorte an der Zukunft des Fliegens beteiligt.
Alle Standorte?
Klar. Wir reden über eine ganz neue Technologie. Das ist eine spannende Herausforderung, weil wir viele Entwicklungsstränge parallel bearbeiten müssen. Wir haben in Hamburg den Bereich Brennstoffzellenlabor, Kraftstoffsysteme und Architektur des neuen Fliegers platziert, in Bremen geht es um Wasserstofftanks, in Stade arbeiten wir am CFK-Tank und in Nordenham entwickeln wir neue Fertigungs- und Produktionsprozesse. Alle vier Standorte sind an diesem Prozess beteiligt.
Airbus hat bereits vor drei Jahren drei mögliche Varianten eines neuen Fliegers vorgestellt, die ziemlich futuristisch aussehen. Wenn die Architektur in Hamburg angesiedelt ist, weiß André Walter bestimmt, wie dieser neue Flieger aussehen wird?
André Walter würde es gerne wissen. Ich hänge da gerne meine Nase mit rein, um zu sehen, wie dieser spannende Prozess abläuft. Aber tatsächlich weiß auch ich noch nicht im Detail, wie der Flieger der Zukunft aussehen wird.