Heute berichtet der deutsche Journalist Wolfgang Stephan über eine große Dramatik am Pfingstsonntag in Sandhausen. Es war ein HSV-Drama bei dem die Fans 11 Minuten lang im siebten Himmel schwebten und dann ins Tal der Tränen stürzten.

Es war doch alles schon geschafft, der Stadionsprecher gratulierte zum Aufstieg, die Fans strömten auf den Platz und feierten. Elf Minuten lang pure Freude und dann der Tiefschlag. Doch nur die Relegation für den Fast-Aufsteiger der Herzen.

Wer auch immer glaubte, dass das Saisonfinale in der Bundesliga mit dem späten Glücksschuss der Bayern in Köln an Dramaturgie nicht zu überbieten ist, wurde am Pfingstsonntag eines Besseren belehrt. Um 17.22 Uhr hatte der HSV seine Hausaufgaben in Sandhausen gemacht. Geradeso mit einem Arbeitssieg das notwendige 1:0 über die Zeit gebracht. Mit seinem frühen Gala-Treffer von Jean-Luc Dompé in der siebten Minute war der HSV schnell auf der Siegesstraße, um sich dann aber nach 90 Minuten gerade noch ins Ziel zu retten. Die Mannschaft schien aus dem letzten Loch zu pfeifen, doch das interessierte niemanden mehr, denn das Ergebnis stimmte. 1:0 gewonnen und Konkurrent Heidenheim lag in Regensburg mit 1:2 im Hintertreffen. Abpfiff in Sandhausen, Euphorie, Freude bei den 9.000 mitgereisten Fans in der Kurpfalz. Sandhausen hatte alles gut organisiert, ließ die Fans geordnet auf den Rasen strömen, der Stadionsprecher gratulierte zum Aufstieg. Unbändiger Jubel auf dem Platz. Wiederaufstieg nach fünf Jahren. Tränen der Freude, Torhüter Daniel Heuer Fernandes ließ sich auf Schultern tragen.

Der 28. Mai 2023 ein Tag für die Geschichtsbücher. Ein Tag, den die Fans nie vergessen werden, weil er mit einem unfassbaren Drama so unbarmherzig endete. Wer die Gnade der frühen Geburt erlebt hat, wird unweigerlich an den 19. Mai 2001 denken als Sergej Barbarez in der 90. Minute im Volksparkstadion das 1:0 gegen die Bayern erzielte und im fernen Gelsenkirchen alle Dämme brachen. Schalke 04 war Deutscher Meister. Nur echte Schalke-Fans können heute mitfühlen, wie es den HSV-Anhängern am Sonntag in Sandhausen ergangen ist. Schalke feierte damals vier Minuten die Meisterschaft. Bis Patrick Andersson irgendwie seinen Freistoß in der Nachspielzeit im Hamburger Tor versenkt hatte und Bayern mit dem Unentschieden Schalke aus der Glücksseligkeit ins Tal der Tränen verdammte.

In Sandhausen dauerte die Feier der Hamburger elf Minuten. Zunächst stand es noch 2:1 für die Regensburger, Heidenheim war Dritter, Relegation. Doch es gab elf Minuten Nachspielzeit, nach Auskunft von Beobachtern zu Recht. Nach 93 Minuten ein Elfmeterpfiff, nur noch 2:2, aber auch das hätte dem HSV gereicht. Doch in der 99. Minute drückte Tim Kleindienst das Spielgerät zum 3:2 über die Linie. Heidenheim war Aufsteiger, sogar Zweitliga-Meister, der HSV muss in die Relegation.

Die jubelnden HSV-Fans hatten in Sandhausen erst nach dem 2:2 realisiert, dass noch Unheil aus Bayern drohen könnte, die Spieler gingen in die Kabine und wenige Minuten später sickerte das Ergebnis aus Regensburg trotz Internet-Abstürzen durch. Aus der Traum. Schockstarre auf dem Platz. Ungläubigkeit Entsetzen, die Tränen der Freude wurden zu Tränen der Enttäuschung.

Über das Stadion-Mikro meldete sich HSV-Vorstand Jonas Boldt: „Das ist bitter gelaufen heute, leider gehört das zum Sport dazu.“ Doch Boldt blickte auch nach vorne: „Das Ding ist noch nicht zu Ende. Wenn wir das alles nochmal in die Waagschale legen, dann ziehen wir das halt mit einer Extra-Runde durch.“
Die Hamburger müssen nachsitzen und spielen in der Relegation gegen den VfB Stuttgart.

Zuerst am Donnerstag 01. Juni in Stuttgart, das Rückspiel ist am kommenden Montag 05. Juni im Volksparkstadion. Anstoß ist jeweils um 20.45 Uhr.

Trainer Tim Walter, der auch schon auf dem Platz zum Feierbiest mutiert war und von einem HSV-Mitarbeiter eingefangen werden musste, sagte: „Einfach kann jeder“. Im Fußball sei mit allem zu rechnen. „Wir werden morgen wieder aufstehen und wir werden diese Chance nutzen, die Mannschaft hat einen guten Charakter.“
„Für den ersten Moment hingen die Köpfe – ist doch logisch“, gestand Kapitän Sebastian Schonlau: „Es fällt heute schwer das zu sehen, aber ab morgen glauben wir an die Relegation.“ Jonas Meffert ist sich sicher: „Wir haben als Mannschaft schon so viele Rückschläge weggesteckt und unsere unglaublichen Fans tragen uns, deshalb bin ich sehr optimistisch, dass wir unsere Chancen nutzen werden.“