Über Qatar rund um die WM berichtet der deutsche Journalist Wolfgang Stephan bereits seit 12 Tagen. Heute geht es in Teil 13 und 14 um die Stadt Doha und um politische Korrektheit – kurz bevor es am Donnerstagabend für die deutsche Mannschaft um alles geht. Siegen oder fliegen? Dienstag – Achtelfinale gegen Belgien, Kroatien oder Marokko oder Heimreise am Freitag ins kalte Deutschland?

Willkommen auf dem Planeten Balla-Balla

 Willkommen auf dem Planeten Balla-Balla. Zwölf Tage dreht sich meine neue Welt in Katar nur um Fußball. Pressekonferenzen, Spiele live im Stadion oder am TV, dazwischen viele mit Wartezeiten verbundene Fahrten mit den Shuttlebusen der Kataris.
Und jetzt das: Der DFB-Sponsor VW lädt zu einer Bootstour auf dem Persischen Golf ein. Abfahrt 15 Uhr, was beschleunigtes Arbeiten am Morgen bedeutet.
Die Entschädigung ist grandios, denn wir starten in der Marina von The Pearl. Katarisches Highlife auf höchstem Niveau. Eine künstlich geschaffene Insel mit Protz und Prunk auf der 30 000 Menschen auf allerhöchstem Niveau leben. Unvorstellbar. In den künstlich angelegten Vierteln rund um diese Perle wurden allerlei Baustile der Welt kopiert. Apartmenthäuser im Stil der Toscana, der Provence oder Andalusiens. Nirgendwo sind die Zukunftsvisionen der katarischen Stadtplaner so verwirklicht, wie auf dieser künstlichen Perle.

Kleines Klugscheißer-Wissen: Zur Jahrtausendwende war Doha von dem Reisejournal Lonely Planet zum langweiligsten Ort der Welt ernannt worden. Doch das sollte sich schnell ändern, denn 1989 wurde gemeinsam mit dem Iran das größte Flüssiggasfeld der Welt zur Wohlstandsquelle der Kataris. Die sagenhafte Entwicklung zeigt sich am Bruttosozialprodukt, das von 7,4 Milliarden US-Dollar im Jahre 1990 auf jetzt 179,6 Milliarden US Dollar angestiegen ist. Zeitweise hatten die 300 000 Kataris (90 Prozent der Einwohner sind Ausländer) das höchste Pro-Kopf-Einkommen der Welt. Zuerst wurden Luxushotels geschaffen, um Doha in eine neue Ära des Seins zu katapultieren.

Die Bootsfahrt ist grandios, der Sonnenuntergang fantastisch, der Blick auf die Silhouette Dohas atemberaubend. Man muss das nicht mögen – aber gesehen haben. Selbst das so selten zu trinkende Bier wurde auf dem Boot zur Nebensache. Jedenfalls für mich. „Ihr könnt gerne noch in Ruhe austrinken“, hatte VW-Organisator Ingo unserer Medien-Truppe nach dem Anlegen am Pier zugerufen. „Sorry, ich muss los, ich muss sofort zum Spiel Brasilien gegen die Schweiz“, sagte ich entschuldigend.
„Du musst“, stellte Ingo mit Ausrufezeichen fest. Ja, er hatte Recht. Manchmal vergesse ich, auf welchem privilegierten Niveau ich mich bei einer Fußball-WM bewegen darf. Alleine das Tor von Casemiro wäre eine bezahlte Eintrittskarte wert gewesen.

Fallbeil der politischen Korrektheit

Wow, mal wieder ein richtiger Skandal. Die deutschen Moralwächter sind empört, dabei geht es diesmal gar nicht um den angeblichen „Schurkenstaat“ Katar. Eher das Gegenteil. Eigentlich wird Ex-Fußballer Sandro Wagner als ZDF-Experte wegen seiner direkten Art geschätzt. Aber nicht, wenn er die Linie der politischen Korrektheit auf entsetzliche Weise verlässt.  Die Empörung hält auch am dritten Tag noch an: „Vorhin habe ich gedacht, die ganze Kurve ist voller Deutschland-Fans. Dann habe ich erst gemerkt, das sind die katarischen Bademäntel.” Auf der nach oben offenen Richterskala der Gutmenschen ist das ein mittelschwerer Tornado, den der Kommentator beim Spiel gegen Spanien im Repertoire hatte. Oje.
„Rassistisch und ekelhaft.“ Die Empörung im Netz ist immer noch groß. Das ZDF reagierte umgehend: „Sandro Wagners Aussage über den „Thawb“ ist leider in einer emotionalen Phase des Spiels passiert. Das darf es nicht”, schrieb der Sender, und: „Wir werden das besprechen.“  Gestern Morgen las ich im Netz, dass Sandro Wagners Zukunft beim ZDF gefährdet sei. Ein Rassist am Mikro?
 „Rassistisch, große Güte“, sagt mein Freund Hasnain Kazim, der Erfolgs-Autor, der indisch-pakistanische Eltern hat und als Mahner gegen jede Art von Diskriminierung kämpft. „Vielleicht war das abfällig, respektlos, aber gewiss ist es nicht rassistisch, denn wer permanent mit diesem Begriff kommt, entwertet ihn und macht Kampf gegen Rassismus, wo er nötig ist, unnötig schwer.“  Und dann klärt Hasnain Kazim auf seine Art auf: „Und ja, natürlich sieht diese Kleidung aus wie das, was andere als Bademantel kennen.“ Er selbst trage gerne die Standardkleidung „Shalwar Kameez“ aus Südasien, ein weites, bis zum Knie reichendes Hemd und eine lockere Pluderhose. Den Spruch, „na bist du in deinem Pyjama unterwegs“, höre er gelegentlich. Das sei je nach Kontext lustig, ironisch, zeuge auch von Ahnungslosigkeit, aber eines sei es nicht: „rassistisch.“
Sein Rat: „Der Welt, also uns allen, wäre sehr geholfen, wenn wir nicht in jedem Wort immer das Schlimmste annähmen und anderen Menschen immer die übelsten Gedanken unterstellen.“
Also, Sandro, bleib locker. Und ertrage es, wenn sich die Araber mal über deine Kleidung despektierlich zeigen: Du hast schließlich bei einem Klub gespielt hat, bei dem sie komische kurze Lederhosen tragen.