Was für ein irres Finale, was für eine kurze Nacht in der schillernden Stadt Doha! Verlängerung, Elfmeterschießen, Siegerehrung, Pressekonferenz, Gedränge, Argentinier, Bus-Shuttle, 2 Uhr „at home“.

Mit seinem KaTag 30, dem Tag an dem Messi Weltmeister wurde und mit seinem Kommentar zur gesamten WM verabschiedet sich Wolfgang Stephan nun von den Lesern von Expat Aktuell

Lionel Messi ist Weltmeister 

„Ewige Herrlichkeit, Messi. Die Welt ist heute ein gerechterer Ort. Ehre sei Gott, Ehre sei Messi.“  Na ja, ganz so hoch wie „Olé“ in Buenos Aires müssen wir den WM-Gewinn nicht hängen, wenngleich ich Argentinien den Sieg in diesem grandiosen Finale von Herzen gegönnt habe. „Messis Argentinien berührt den Himmel in Katar“, der Satz beschreibt, was sich in der Nacht in Doha abgespielt hat. Wer es erleben durfte, muss keine Zweifel am Fußball als ein verbindendes Element in dieser Welt habe. Selbst die Franzosen feierten mit den Argentiniern, die Inder, Pakistani, Nepalesen, Afrikaner und die Katarer sowieso. Dabei gewesen zu sein und ein wenig mitgefeiert zu haben, war für mich der würdige Abschluss einer WM, zu der ich mit gemischten Gefühlen vor viereinhalb Wochen gestartet war.  34 Tage mit der schönsten Arbeit der Welt in einem Land, das ich sehr differenziert betrachte, was ich auch ausgiebig geschrieben habe.
„Was war für Dich der größte Moment in Katar?“ – ich weiß, dass mir die Frage oft gestellt werden wird. Noch ist mir ein Moment nicht bewusst. Aber ich weiß, was mich am meisten beeindruckt hat: Die Freundlichkeit der Menschen, die in diesem Land leben. 2,7 Millionen Migranten machen Katar aus. Nicht die reichen Katarer, von denen ich auch einige kennengelernt habe und die mir sehr höflich begegnet sind. Mein Katar waren die Taxifahrer, die Busfahrer, die Volunteers in den Stadien, die Verkäuferinnen im Supermarkt, die sofort erkannt haben, wenn der Europäer ein Problem haben könnte. Deswegen hatte ich keine Probleme, weil mir immer sofort eine Lösung geboten wurde. Alles immer mit einer Nettigkeit behaftet, die ich so noch nie erlebt habe. Als ich mich am zweiten Tag nach einem Einkauf verlaufen hatte, haben mich gleich drei Männer so lange durch das Viertel kutschiert, bis ich meine Ferienwohnung fand. Bezahlung? „Bitte beschämen Sie uns nicht.“ Ich fand die Antwort auf meine Überlegung beschämend, ob ich einen suchenden Araber in meiner Heimatstadt im Auto mitnehmen würde.
Was bleibt? Ein unvergessliches Erlebnis, das auf einer Stufe mit Brasilien 2014 steht.
„Die Realität ist vielfältiger als die Schlagzeilen“, dieser Erkenntnis folgend, habe ich versucht, das Land, die Menschen, den Weltcup zu beschreiben.
Ich hoffe, dass mir dies in Teilen gelungen ist. Es war mir eine Ehre, diese Kolumne zu schreiben. Schreiben was ist!

Kommentar zur WM

Trotz alledem war das keine Skandal-WM. Argentinien ist Weltmeister. Glückwunsch! Die beste Mannschaft des Turniers hat den Titel. Und jetzt ist sie also zu Ende, die Skandal-WM im Schurkenstaat. Ein Skandal war die Vergabe der WW durch die FIFA vor zwölf Jahren – unter dubiosen Umständen an ein Emirat, das sich über den Sport Vorteile und Einfluss in der Welt verschafft. Weil Geld die Welt regiert. Katar hat sich erkauft, was es wollte. Aber war dieses in fast der ganzen Welt gefeierte größte Fußballereignis deshalb eine Skandal-WM? Ich sage nein. Wer seine moralische Messlatte so hoch anlegt, hätte auch gegen die WM in Russland opponieren müssen und dürfte nicht mehr Fan des FC Bayern sein, denn die Münchner erhalten Millionen aus Katar und beziehen in Doha ihr Trainingslager.

Diese WM war ein großes Fußballfest, auch in Katar, einem Schmelztiegel der Kulturen. Übrigens, auch mit vielen Arbeitsmigranten aus Afrika, die nicht an den europäischen Grenzen im Mittelmeer ertrunken sind. Katar ist eine absolute Monarchie, ein kleines Land das erst vor 50 Jahren nach der Entdeckung der größten Flüssiggasquelle der Welt zu einem unermesslichen Reichtum gekommen ist. Ein Land mit Widersprüchen, ein Land inmitten eines atemberaubenden Wachstumskurses, das noch vor zwei Jahren von der arabischen Welt größtenteils abgeschnitten war, das von Saudi-Arabien offen mit Krieg bedroht wurde und politisches Glück hatte, dass Trump nicht mehr im Weißen Haus sitzt. Ein kleines Emirat, das bei den politischen Unruhen im arabischen Frühling auf die progressiven Kräfte setzte, Text hier eingeben 2 während die Saudis als die großen Player am Golf die konservativen Kräfte unterstützten, die letztlich siegten. Das zu wissen, ist wichtig, um die Bedeutung dieser WM einzuordnen, denn der Weltcup hat die Menschen am Golf über den Fußball vereint. Dass viele tausend Saudis und Araber aus ganz Afrika nach Katar reisten und fröhlich empfangen wurden, ist geopolitisch von großer Bedeutung. Wir Deutsche haben in Katar viel Ansehen verloren. Wunderbar, wir haben mit einer Mund-zu-Geste protestiert. Gegen was? Gegen das Verbot der „One-Love-Binde“. Stattdessen musste Manuel Neuer mit einer Binde „No Discrimination“ auflaufen. Dass diese Botschaft politisch viel stärker ist, hat in dem völlig überbewerteten Hype niemand interessiert. Natürlich war es richtig, Organisationen wie Amnesty International vor der WM in ihrer Klage gegen die Arbeitsbedingungen in Katar zu unterstützen. Das Emirat musste sich dem internationalen Druck beugen und hat einen Mindestlohn eingeführt und will die geforderten Migranten[1]Büros von den Gewerkschaften einrichten. Beides gibt es in keinem anderen arabischen Land. Will das irgendwer hören? Das ist es, was ich beklage. Da wird in Deutschland eine moralische Messlatte hervorgeholt, da werden angebliche fehlende Frauenrechte angeprangert, ohne mit katarischen Frauen zu reden, 2,7 Millionen Arbeits-Migranten bedauert, ohne sie zu fragen, wie sie sich in Katar fühlen. Von Menschen, die sich demnächst fröhlich in den Urlaub nach Dubai, Ägypten, Marokko oder in die Türkei verabschieden. Und nie auf die Idee kämen, dass sie möglicherweise in einen „Schurkenstaat“ reisen. Katar ist ein autokratischer Staat, der glaubt, mit Geld Einfluss in der Welt zu bekommen und ein Staat, dessen Rechtssystem auf den Lehren der Scharia fußt. Wie in den meisten arabischen Ländern. Aber Katar ist auch ein Land, das sich im Maßstab der arabischen Welt – zum Entsetzen vieler arabischer Traditionalisten – aus westlicher Sicht in eine positive Richtung entwickelt. Wenngleich vieles aus deutscher Sicht zu bemängeln wäre. Aber steht es uns zu, als Deutsche eine fremde Kultur mit unseren Maßstäben und einem gehörigen Maß Hochmut zu beurteilen und so zu verurteilen? Ich sage nein. Eine differenziertere Betrachtung und vor allem Respekt und Toleranz haben mir größtenteils in der Berichterstattung über Katar gefehlt.